Interview: Chance oder Bedrohung – was bedeuten Robotereinsatz und Automatisierung für Handwerksunternehmen?
Nach bisher weitverbreiteter Meinung ist der Einsatz von Robotern hauptsächlich in der industriellen Massenproduktion sinnvoll. Im Prinzip stimmt das – bis vor einiger Zeit. Datenbasierte Produktion, deren Planung und die enge Vernetzung mit den Kunden ermöglichen aber längst die (profitable!) Individualisierung von allem, was maschinell herstellbar ist.
Egal ob die Herstellung von Profi-Elektrowerkzeugen, Fahrzeugen und Stahlkonstruktionen, die Verrichtung von Tätigkeiten im Lager gemeinsam mit Menschen oder die Pflege von Fassadenbegrünungen: Die digital gesteuerte Fertigung und die automatisierte Erbringung von Services machen aus der Nullachtfünfzehn-Produktion heraus die Erstellung von Einzelstücken und individuellen Leistungen nicht nur möglich, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll.
Die in unseren fhd-Blogbeiträgen zum Thema Robotik vorgestellten Praxisbeispiele beweisen, dass dies nicht nur graue Theorie, sondern in Vorreiterbetrieben längst Alltag ist. Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart entwickelt hierzu mit bereits 45 Jahren Erfahrung in der Robotik und Automatisierung Schlüsseltechnologien für die unterschiedlichsten, auch im Handwerk relevanten Einsatzbereiche.

Dipl.-Ing. Martin Hägele M. S. ist Abteilungsleiter „Roboter- und Assistenzsysteme“ und Bereichsleiter „Intelligente Automatisierung und Reinheitstechnik“ am Fraunhofer IPA. Wir sprachen mit ihm über die Rolle und Bedeutung, die diese Systeme künftig im Handwerk einnehmen (können).
Herr Hägele, es wird vielfach angenommen, die Installation und Programmierung von Robotersystemen in kleinen Unternehmen – wie zum Beispiel im Handwerk – sei zu aufwendig. Können Sie diese Meinung widerlegen?
Martin Hägele: Automatisierung macht wettbewerbsfähig – das gilt längst auch für mittelständische Produktionen und das Handwerk. Fast alle Roboterhersteller stellen sich in steigendem Maße diesem Zukunftsmarkt und bieten Komplettsysteme für unterschiedliche mittelständische Anwendungen an: zum Schweißen, Beschichten, Verpacken oder zur Maschinenbeschickung.
Einfache Programmierung und sichere Nutzung durch die Bediener sind neben Wirtschaftlichkeitsanforderungen entscheidend für den Robotereinsatz, wenn es um kleine Stückzahlen oder kleine Losgrößen geht. Die Schlüsseltechnologien dazu wurden in großen EU-geförderten Initiativen wie SMErobot und danach SMErobotics seit Mitte der 2000er-Jahre intensiv vorangetrieben.
(Anmerkung: Toll sind die Videos zu SMErobot und SMErobotics auf YouTube:
und www.smerobotics.org,
Oft wird im Zusammenhang mit Robotereinsatz und Automatisierung befürchtet, dass Arbeitsplätze auf der Strecke bleiben. Wo könn(t)en aus Ihrer Sicht qualifizierte Mitarbeiter (neue) Aufgaben im Handwerk künftig zusammen mit Robotern besser lösen als alleine?
Martin Hägele: Zahlreiche Roboterinstallationen in kleinen Produktionen und Handwerksbetrieben, die wir unter anderem innerhalb der genannten EU-Initiativen begleiten durften, resultierten in durchweg positiven Erfahrungen: Mit dem Einzug des Roboters verbanden alle Beteiligten einen Zugewinn an Wettbewerbsfähigkeit, Attraktivität und Sicherheit des Arbeitsplatzes.
Insbesondere für junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stand der Roboter für ein innovatives und anspruchsvolles Arbeitsumfeld mit Weiterentwicklungschancen. Da Roboter in diesem Umfeld laufend gerüstet und programmiert werden, ist ihre Wahrnehmung die eines wichtigen Arbeitswerkzeugs.
Wo sehen Sie – Stand heute – für Handwerksunternehmen sinnvolle Einsatzbereiche und marktreife Robotik-Lösungen für die Automatisierung von Aufgaben? Wo würden Sie empfehlen, noch abzuwarten?
Martin Hägele: Inzwischen sind Schweißroboter im handwerklichen Stahlbau keine Seltenheit mehr. Auch mittelständische Betriebe der Metall-, Holz-, Leder- sowie Glasverarbeitung und auch Bäckereien setzen Roboter ein.
Faktoren, die den wirtschaftlichen Robotereinsatz begünstigen sind: der Nutzungsgrad, d. h., wie viele Stunden pro Tag könnte der Roboter idealerweise beschäftigt werden. Kann die Einrichtzeit gegenüber der Ausführungszeit beispielsweise durch Nutzung digitaler Daten verkürzt werden? Sind Tätigkeiten ergonomisch belastend oder unnötig repetitiv? Sind Fertigungsprozesse über lange Zeit auf gleich hohem Niveau zu halten? Letztlich müssen ein Robotereinsatzpotenzial festgestellt und der Robotereinsatz kompetent geplant werden.
Wie viel Vorlaufzeit von der Idee bis zur Einführung würden Sie heutzutage für die Einführung beispielsweise einer Robotik-Lösung für eine Bauschlosserei oder im Waren- und Ersatzteillager eines Sanitär-Heizungs-Klima-Fachhandwerkbetriebs veranschlagen?
Martin Hägele: Für Standard-Schweißarbeiten, wie sie in einer Bauschlosserei vorkommen, gibt es bereits fertig konfigurierte Schweißroboterzellen. Hier lohnt sich der Kontakt zu einem der typischen Ausrüster. Für komplexere Einsatzumgebungen oder Produktionsprozesse bietet das Fraunhofer IPA aber auch spezialisierte Berater, die erwähnte Roboter-Einsatzanalyse als Dienstleistung an.
Das Ergebnis dieser Vor-Ort-Analyse ist ein mögliches Automatisierungskonzept mit Wirtschaftlichkeitsabschätzung sowie identifizierten Chancen und Risiken einer Realisierung. Eine typische Analyse erstreckt sich, je nach Komplexität der Automatisierungsaufgabe, über ein bis vier Wochen. Nach positiver Investitionsentscheidung durch den Betrieb bieten Roboterhersteller oder Systemintegratoren dann ein Robotersystem auf der Basis des Automatisierungskonzepts an.
Herr Hägele, wir bedanken uns für diese interessanten Informationen!
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