Interview – Digitalisierung heißt: nicht in (IT-)Lösungen, sondern in Funktionen denken!
Um in der heutigen digital geprägten Welt schnell auf Herausforderungen und/oder Veränderungen im Tagesgeschäft reagieren zu können und dennoch alle Abläufe im Griff zu haben, ist auch ein professionelles digitales „Öko-System“ unabdingbar.
Die Realität des Handwerks sieht allerdings ganz anders aus. In den meisten Fällen besteht diese aus einer umfassenden, komplexen „On-Premises”-Branchenlösung. Das heißt Abhängigkeit von einem Anbieter, auf dessen Flexibilität und Innovationsbereitschaft man sich verlassen muss.
Ein Ausweg aus diesem Dilemma könnte der Multi-Cloud-Ansatz sein. Das bedeutet: freie Auswahl von Funktionen und Services verschiedener Anbieter und deren Kombination zu einem individuellen, flexibel anpassbaren und nach „Verbrauch“ abgerechneten System.
Beispiel: Finanzbuchhaltung von Cloud-Dienstleister A, Personalwesen von Cloud-Dienstleister B, Lager- und Bestellwesen von Cloudanbieter C, Auftragsverwaltung von Cloudanbieter D etc., möglicherweise in Verbindung mit einer bereits inhouse eingesetzten speziellen Branchen-Software, zum Beispiel für Sanitär- bzw. Elektroplanung, CAD im Stahlbau oder Facility-Management.
Doch wie realistisch ist dieser „Traum“? Ist er bereits Wirklichkeit?
Wir haben als ausgewiesenen Experten hierzu Michael Schönstein, Senior Business Architect bei der Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, befragt. Das Unternehmen bietet seit 1989 Selbstständigen, Freiberuflern sowie kleinen und mittleren Unternehmen kaufmännische Software-Lösungen – auch aus der Cloud – an.
Herr Schönstein, was halten Sie von der derzeit noch weitverbreiteten Abhängigkeit der Handwerksunternehmen von in der Regel nur einem Software-Anbieter?
Ehrlich gesagt, sehe ich diese starken Abhängigkeiten als „Handbremsen“ in der modernen Entwicklung von Handwerksunternehmen. Derzeit ergeben sich durch viele neue Anbieter und Lösungen, vor allem im Bereich der Cloud, zahlreiche Chancen für schnelle flexible und moderne Arbeitssysteme, die oftmals viel besser die individuellen Bedürfnisse des jeweiligen Handwerksunternehmens abdecken könnten.
Ist der Umstieg auf eine flexible, aus mehreren miteinander verknüpfbaren Cloud-Services für Handwerksunternehmen heute bereits möglich?
Ja, auf jeden Fall. Und es ist nicht nur „möglich“, sondern meiner Meinung nach auch deutlich „einfacher“ als früher. Es bedarf keiner komplizierten Erstinstallationen oder auch keines teuren Hardware-Kaufs mehr, wie es in der Vergangenheit oftmals der Fall war.
Ergibt es für Handwerksunternehmer Sinn, mutig zu sein und auch mal „isoliert“ funktionierende Apps, die nicht mit den anderen Systemen im Betrieb (daten-)austauschfähig sind, für die Erledigung von Aufgaben einzusetzen?
„Mutig sein“ auf jeden Fall. Bei dem Stichwort „isoliert“ bin ich eher skeptisch, denn vor allem bei Cloud-Lösungen ist eine wirkliche „Isolation“ selten der Fall. Man sollte sich die Zeit nehmen und die Kopplung und Verbindung der Apps prüfen, denn genau daraus entstehen oft die wirklichen Synergien, die dann in „Zeitersparnis“ oder effizienter „Produktivität“ deutlich merkbar sind. Und diesen „Mut“ sollte man aufwenden.
Die freie, anbieterunabhängige Auswahl, Zusammenstellung und Steuerung von Funktionen aus der Cloud unter Produktivitäts-, Compliance- und Technologiegesichtspunkten ist natürlich nicht gerade etwas für „IT-Laien”. Welche Rolle und Bedeutung messen Sie hier den Anbietern von Cloud Services zu?
Der Anspruch und die Vorgaben für die Anbieter von Cloud Services sind hoch, und das zu Recht. Es sollte Auftrag eines jeden Lösungsanbieters sein, die Nutzung und Einrichtung sowie die Erfüllung von z. B. Compliance oder rechtlichen Vorgaben immer aus einer kundenzentrierten Architektur heraus zu entwickeln, sodass es durchaus auch für „IT-Laien“ verständlich und einfach nutzbar wird.
Frei nach Pippi Langstrumpf: „Ich mache mir meine digitale Welt so wie sie mir gefällt!” Gehört Multi-Cloud-Umgebungen im Handwerk die Zukunft?
Ja. Sehr deutlich „ja“. Denn so einfach, wie es heute für den Kunden ist, sich seine Dienstleister aus einer großen Anbieterwelt auszuwählen, online zu vergleichen und zu bewerten, so einfach sollte es über die Nutzung von Multi-Cloud-Umgebungen auch für das Handwerk der Zukunft sein, Lieferanten auszuwählen, Bestellungen zu tätigen, Preise zu vergleichen, automatisiert Rechnungen zu erstellen und Zeiten zu erfassen, so wie vieles weitere mehr, was den Arbeitsprozess optimierend unterstützt.
Herr Schönstein, wir bedanken uns für diese interessanten Einblicke!
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